
„Wir können nie genug kriegen“
Im Sommer werden Sie mit „Jedermann Reloaded Symphonic“ ein Gastspiel am Linzer Domplatz geben. Was darf man da erwarten?
Ein Experiment. Wir versuchen, die Salzburger Philharmonie, meine Band Die Elektrohand Gottes und den Text von „Jedermann“ zu vereinen – und das bei einem Open-Air-Konzert. Wir haben ein 60-Mann-Orchester, eine Rockband und einen Performer, der alle Rollen des Stücks alleine spielt. Diese Kräfte werden aufeinander losgelassen. Das haben wir vergangenen Herbst im Salzburger Festspielhaus schon einmal so gemacht. Der Event war ein voller Erfolg. Es war aber ein Kamikaze-Vorhaben, denn es gab kaum die Möglichkeit, in voller Besetzung zu proben – ein Experiment mit vollem Risiko. Das wollen wir jetzt in Linz vertiefen. Als man mich wegen des Events am Domplatz angefragt hat, habe ich sofort zugesagt.
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Wenn Phillip Hochmair nur noch eine Stunde zu leben hätte, würde er mit seiner Band spielen. (Foto: Eriver Hijano)
Was verbindet Sie mit Linz?
Ich bin im Herzen Oberösterreicher.
Sie sind aber in Wien geboren.
Meine Großeltern sind aber aus Haag am Hausruck. Ich war als Kind viel bei ihnen im Hausruckviertel und habe auch immer davon geträumt, dort Bauer zu werden. Ich sehe mich als Oberösterreicher, weil mein Herz dort ist.
Welche Erinnerungen haben Sie an Oberösterreich?
Oberösterreich verbinde ich mit der Kindheit. Das war eine prägende Zeit. Ich habe da meine Sommer bei Bauern in Pramerdorf verbracht. Ich wollte lernen, wie man mit Tieren arbeitet. Das war ein Vierkanthof mit Kühen, Schweinen, Ziegen und Tauben – so richtig klassisch oberösterreichisch, wie man sich das vorstellt. Das war eine ganz andere Welt. Eine alte Welt. Die gibt es in dieser Form heute kaum mehr.
Ich habe gelesen, Sie würden mit dem Gedanken spielen, sich nach der Schauspielkarriere als Bauer im Hausruckviertel anzusiedeln.
Ja, das ist eine Fantasie. Ein Fantasma. Das kann schon noch passieren, ist aber im Moment weit weg. Das Jahr 2019 war sehr intensiv und besonders.
Ihr schönstes Jahr?
Ich würde sagen, 2018 war mein schönstes Jahr. 2019 war ein erfüllendes und dynamisches Jahr.
Das Jahr der Belohnungen.
Ja, das könnte man so sagen.
Sie haben 2019 die Romy, den österreichischen Fernsehpreis, gewonnen.
Richtig. Preise sind für mich schon wichtig, aber nicht so spürbar, weil sie abstrakt sind. Jedes Mal, wenn ich die Romy im Wohnzimmer sehe, freue ich mich. Aber ich stell mir auch die Frage: Wie ist die da reingekommen?
Sie steht im Wohnzimmer?
Ja, die Romy steht auf dem Fensterbrett, neben einem silbernen Jesus vom Flohmarkt. Die zwei sind ein schönes Paar, neben dem Jesus schaut die Romy fast aus wie die Gottesmutter Maria. Die Romy war ja einer der ersten Preise, die ich je bekommen habe. 2009 wurde ein Ganzkörper-Porträt von mir in der Ehrengalerie des Wiener Burgtheaters aufgehängt. Diese Art der Auszeichnung war für mich realer, weil ein längerer Prozess dahintersteckte, bis es so weit war: der Dialog mit dem Bildhauer, der Kontakt mit den Kollegen, die zur gleichen Zeit in die Galerie aufgenommen wurden … Die Romy war dagegen wie ein Geschenk, das plötzlich vom Himmel fiel.
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Phillip Hochmair, 46, studierte am Max Reinhardt Seminar bei Größen wie Klaus Maria Brandauer, war Ensemblemitglied im Burgtheater und gehört derzeit zu den gefragtesten Schauspielern im deutschsprachigen Raum - nicht nur auf der Bühne, sondern auch in Film ("Glück ghabt") und Fernsehen ("Blind ermittelt"). (Foto: Eriver Hijano)
Aus heiterem Himmel kam ja auch Ihr Auftritt bei den Salzburger Festspielen im Jahr 2018.
Das war natürlich der Knaller. Das Engagement am Salzburger Domplatz war wie ein Ritterschlag, eine Art Krönung für mich.
Kurz zur Erklärung: Tobias Moretti gab 2018 in Salzburg den „Jedermann“, ist dann aber erkrankt, und Sie sind fünf Vorstellungen lang für ihn eingesprungen.
Genau. Das war eine große Herausforderung und zugleich eine extrem sinnliche und körperliche Erfahrung.
Sie spielen aber seit 2013 regelmäßig den „Jedermann“.
Ja, allerdings in einer ganz anderen Form: das ganze Stück als Monolog. Schon als heranwachsender Schauspieler habe ich mir diesen Mythos „Jedermann“ natürlich zu Gemüte geführt. Und ich wusste schon, dass ich einmal eine Art „Jedermann“-Experiment als Monolog ausprobieren möchte. Dazu kam es 2013 bei einer Koproduktion des Hamburger Thalia Theaters mit den Salzburger Festspielen. Meine Soloperformance war sozusagen die radikale Gegenvariante zur Neubesetzung am Domplatz mit Cornelius Obonya. Diese Art von Monologen praktiziere ich seit langem. Seit 1997 toure ich mit „Werther!“ nach Goethes Briefroman, und später kamen noch Kafkas „Prozess“ und „Amerika“ dazu.
Da liegt Ihr Herzblut drin?
Ja. Das ist meine absolute Passion. Und diese Passion will ich weiterführen mit „Jedermann“. Deshalb habe ich die Band Die Elektrohand Gottes gegründet.
Wie ist es dazu gekommen?
Ich habe die Stimme von Alexander Moissi gesucht, dem ersten „Jedermann“ in Salzburg im Jahr 1920. Und bei der Suche bin ich auf ein Album gestoßen, wo der Gitarrist Tobias Herzz Hallbauer zu alten Aufnahmen von Moissi improvisiert. Das war das Berührendste und Aufregendste, was ich seit Jahren gehört hatte. Also habe ich mir diesen Gitarristen gesucht. (Lacht.) Wir sind Freunde geworden und haben Die Elektrohand Gottes gegründet.
Sie haben Ihre Bandmitglieder also relativ schnell gefunden?
Ja. Das war schon wie eine Art Fügung. Tobias Herzz Hallbauer hat noch zwei andere Musiker mitgebracht, alles ehemalige Ost-Punks aus der zusammengebrochenen DDR. Das ergab eine durchaus kreative Mischung – Burgtheater-Schauspieler meets Ost-Punks. Wir sind gerade dabei, unser drittes Album aufzunehmen: „Schiller Rave“ – Schillers große Balladen mit Techno.
Zurück zum „Jedermann“: Was ist an diesem Stoff so faszinierend für Sie?
Er hat mich magisch angezogen. Da steckt ein Geheimnis drin. Es ist zwar schnell zusammengefasst und nacherzählt, ist aber viel, viel größer als alle seine Zutaten.
Wie lautet das „Jedermann“-Rezept?
Die Basis ist die Geschichte eines reichen Mannes, der plötzlich sterben muss. Das Fragment eines mittelalterlichen Morality-Plays, das von Hugo von Hofmannsthal fertig gestrickt wurde. Und dann dieses Mysterium, dass das seit hundert Jahren nahtlos jeden Sommer am Salzburger Domplatz läuft. Das ergibt eine Mischung, die mich wirklich interessiert. Ich habe einen Zugang gesucht, der mir und meiner Zeit entspricht und der auch das Publikum neu aufwecken und beleben könnte. Dass das Wiener Burgtheater immer wieder so schnell ausverkauft ist oder letztes Jahr
der große Erfolg im Stephansdom – das zeigt, dass wir da anscheinend einen Nerv getroffen haben.
Mein Wertesystem ist christlich geprägt. Die Zehn Gebote sind schon ein Wegweiser - für uns alle.
Wie ist es zu Ihrem Auftritt im Stephansdom gekommen?
Ich habe Gery Keszler bei so einem Dinner kennengelernt. Er brauchte Geld für eine Charity-Aktion und hat mich gefragt, ob ich das machen möchte. Ich habe Ja gesagt, und das war es. Der Stephansdom ist vom Ambiente her einfach ein Wahnsinn. Wahnsinn! Das war eines der intensivsten Erlebnisse meines bisherigen Lebens.
Was passiert mit einem emotional, wenn man im Wiener Stephansdom performen kann?
Das ist, wie wenn du mit einem Privatjet als Pilot durch ein Gewitter fliegen musst. Emotionen kannst du dir da nicht leisten, selbst wenn der Kaiser von China, deine Liebste und deine gesamte Haustiersammlung an Bord sind. Im Nachhinein, wenn es dann geschafft ist, gibt es eine Explosion von Emotionen. Aber in dem Moment, in dem du drinnensteckst, geht’s ums nackte Überleben. Um intuitives Funktionieren. Da sitzen der Bürgermeister, der Kulturminister, der Erzbischof von Wien in der ersten Reihe und schauen dich an … Die wollen alle etwas bekommen von dir. Und du musst das Flugzeug navigieren. Jetzt. Hier. In diesem Moment!
Sind Sie ein gläubiger Mensch?
Ich würde das bejahen. Aber auf eine eigene Weise. Auf eine vielleicht pantheistische Weise. Ich glaube an Naturkräfte, und ich trage auch eine Vorstellung von Gott in mir, die wahrscheinlich total naiv ist. Ich würde mich jedenfalls als religiösen Menschen bezeichnen, auch wenn ich nicht jeden Sonntag in die Kirche gehe.
Aber Sie folgen einem bestimmten Wertesystem.
Ja klar. Das tut doch jeder Mensch.
Und wie sieht dieses System aus?
Es ist christlich geprägt. Die Zehn Gebote sind schon ein Wegweiser – für uns alle.
Begeben Sie sich kurz in die Rolle des „Jedermann“. Er hat nur noch eine Stunde zu leben, eine Stunde, um Bilanz zu ziehen. Was würden Sie mit dieser Stunde anfangen?
Nicht Bilanz ziehen. Ich würde das letzte Stündlein mit meiner Band spielen und dafür sorgen, dass sie nachher ein schönes Festessen hat.
Es gäbe nichts, was Sie in Ordnung bringen wollen? Nichts zu klären?
Ich würde das mit unserer Musik zum Ausdruck bringen. Die Welt ist Klang. Ich würde mich dem Klang hingeben, der da entsteht. Und du?
Ich würde gerne wissen, wer Philipp Hochmair ist.
Du siehst mich ja! (Lacht.)
Ich kenne Sie seit kurzem, aber fassen kann ich Sie noch nicht.
Ich kann mich ja selber nicht fassen! Darum bin ich Schauspieler geworden. Um mich zu rahmen. Um mich irgendwie einzuordnen. Das fragt man sich als Künstler dauernd: Wer bin ich denn? Das ist auch ein Zitat aus „Jedermann“: „Wer bin ich denn? Der Jedermann. Der reiche Jedermann allzeit.“
Sie haben einmal gesagt, wenn man „Jedermann“ zeitgemäß interpretiert, finden sich viele aktuelle Themen darin, von Flüchtlingskrise bis Globalisierung.
Alles. Das ist ein wahnsinniges Stück. Damit sollte sich jeder mal beschäftigen. Das ist so ein einfacher, aber entscheidender Gedanke, der da drinsteckt.
Und der lautet?
Dass das Materielle, an das wir uns klammern, einfach nicht existent ist.
Warum klammern wir uns dann so daran?
Weil wir schwach sind, weil wir auf Erfolg getrimmt sind. Es ist in unseren Genen. Das ist ein menschliches Grundprinzip: anhäufen, wachsen, zerstören, immer mehr Raum einnehmen. Wir können einfach nie genug kriegen.
Der Mammon dominiert uns alle?
Ja, auf jeden Fall. Ich kenne kaum Leute, die das überwinden. Dass man sich mal freut, dass man etwas geschaffen hat. Es muss immer mehr sein. Eine Freundin hat mir mal erzählt, dass sie im Büro war, als dort der Firmenchef gestorben ist. Und sein letzter Satz war: „I bin ja ollaweil dem Göd so nachgrennt!“ Dann ist er gestorben. Das ist für mich die Erkenntnis aus „Jedermann“. Sie ist vielleicht einfach, aber wahrhaftig. Ich denke, die Leute, die da sitzen und sich das anschauen, dürfen diesen Gedanken auch gerne für zwei Stunden mitnehmen. Was sie damit machen, ist egal. Aber innehalten und darüber nachdenken: Ist das richtig, was ich da mache? Was treibt mich denn an? Wofür bin ich da? Wenn ich das als Schauspieler erreiche, ist viel geschafft. Das ist für mich „Jedermann“.
Jedermann allzeit
Hugo von Hofmannsthals berühmtes Mysterienspiel „Jedermann“ wird seit 1920 jedes Jahr bei den Salzburger Festspielen aufgeführt. Es handelt von einem reichen Mann, der kurz vor seinem Tod mit sich und der Welt ins Reine kommen will. Seit 2013 verkörpert Philipp Hochmair den „Jedermann“ in den verschiedensten Inszenierungen.
Seine neueste Interpretation „Jedermann Reloaded“ bringt ihn gemeinsam mit seiner Band Die Elektrohand Gottes auf die Bühne, wo er selbst in alle Rollen des Stücks schlüpft.
Am 11. Juli 2020 wird er mit seiner Band und der Philharmonie Salzburg in „Jedermann Reloaded Symphonic“ bei Klassik am Dom am Linzer Domplatz zu sehen sein.
Info und Tickets: klassikamdom.at
(Foto: Eriver Hijano) |
Dieser Beitrag ist im Magazin "Grüß Gott! - Das Magazin über Gott und die Welt" in der Ausgabe 2 / Frühling 2020 erschienen. Das Magazin wird von der Diözese Linz herausgegeben und erscheint zwei Mal im Jahr.
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