
Wie Delfine im Wasser
An warmen Sommertagen ist das Hallenbad in Traun meistens menschenleer. Doch nicht an diesem Samstag. Kinder und Jugendliche schwimmen, toben, spritzen oder lassen sich durchs Wasser treiben. Und inmitten des unbeschwerten Trubels: Schwimmtrainer Joe Gokl. Mit seiner bunten Badehose, dem Lockenkopf und dem Goldketterl ist er schon von weitem zu erkennen. Er ist gerade dabei, jeden der jungen Menschen einzeln zu begrüßen und kurz mit ihnen zu plaudern. „Hallo Andi!“, ruft er einem Jugendlichen zu. Der lacht ihn an und zeigt seinem Trainer den Plastikfisch, den er mitgebracht hat: einen Hai mit aufklappbarem Maul. „Andi hat jedes Mal einen anderen Fisch dabei“, erklärt Joe Gokl – und winkt schon dem nächsten Kind zu.
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Josef "Joe" Gokl, 66, ist Schwimmer und Schwimmtrainer beim USC Traun. Für sein soziales Engagement mit den "Special Delphins" wurde er 2020 mit dem Solidaritätspreis der KirchenZeitung Diözese Linz ausgezeichnet. |
„Ich habe bisher noch alle ins Wasser bekommen. Wer es nicht probiert hat, kann nicht sagen, dass es nicht möglich ist“, sagt er. Jeden Samstag zwischen 12 und 14 Uhr kommen seine „Special Delphins“ ins Trauner Hallenbad. Den Namen haben sie sich selbst gegeben: Insgesamt 25 Kinder und Jugendliche mit körperlicher und geistiger Beeinträchtigung sind derzeit im Schwimmkurs. „In diesen beiden Stunden wird das Wasser für mich zu einem mystischen Ort“, sagt der 66-jährige Trainer. Und wer sieht, wie junge Menschen, die zuvor still im Rollstuhl gesessen sind, sich mit Freude und Leichtigkeit durchs Wasser bewegen, kann diesen Satz gut verstehen.
Über jeden und jede kann Joe Gokl eine Erfolgsgeschichte erzählen. „Paula ist blind und extrem bewegungshungrig – wir haben erreicht, dass sie Schwimmen lernt“, sagt er voller Stolz. Für Paulas Mutter liegt der Erfolg vor allem am Trainer: „Er ist ein super Typ, da gehört schon viel dazu, und ich würde meine Tochter nicht jedem mitgeben, denn sie leidet unter epileptischen Anfällen.“ Paula hat längst Vertrauen gefasst und schickt ihre Mama noch in der Garderobe weg. „Das ist okay, ich weiß, dass sie hier gut aufgehoben ist.“ Bald darauf tobt Paula durchs Wasser und spielt Ball – sie kann hier ihre Freizeit genießen wie andere 14-Jährige auch.
Sprung ins kalte Wasser
„Wenn ich mit dem Jannik, der sonst im Rollstuhl sitzt, ins Wasser springe, und er lacht dabei aus vollem Hals, dann weiß ich, warum ich das mache“, sagt Joe Gokl begeistert. Und Janniks Eltern freuen sich über die Fortschritte, die er mit ihm macht: „Er kann mittlerweile im Wasser stehen und sich am Beckenrand entlanghanteln. Seine Körperwahrnehmung verbessert sich, und er fühlt sich hier pudelwohl. Für beeinträchtigte Jugendliche gibt es sonst so wenig Freizeitprogramm und kaum Möglichkeiten, sich mit Freunden zu treffen.“
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Fische-Fan Andi mit seinem Plastikhai. |
Freizeit hat Joe Gokl kaum – obwohl er bereits seit 2017 in Pension ist. Er ist gelernter Konditormeister, hat aber fast sein ganzes Berufsleben in einer Bank gearbeitet. Das Soziale habe er von seiner Mutter mitbekommen, die immer für andere da war. „Wir waren sechs Kinder, und sie war der Rückhalt der Familie“, sagt Joe. Seine Mama habe ihn gelehrt zu helfen, wenn es anderen schlecht gehe. Darum engagiert er sich im Gemeinderat in Traun und gründete vor 13 Jahren den Sozialmarkt, wo Menschen mit wenig Einkommen einkaufen können.
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Vom Rollstuhl ins Wasser: Jannik mit Schwimmtrainerin Heidi. |
Bei den „Special Delphins“ kann Joe Gokl seine soziale Ader mit seiner großen Leidenschaft – dem Schwimmen – verbinden. Bereits in jungen Jahren trainierte er bei einem Schwimmverein in Linz, dann kam eine längere Pause. „Als meine Kinder schwimmen lernten, habe ich wieder begonnen“, sagt der 66-Jährige, der zwei erwachsene Söhne und zwei Töchter, sieben Enkel und sogar schon ein Urenkerl hat. Seit Juli ist Joe Gokl auch noch Obmann beim 1. USC Traun, einem der größten Schwimmvereine in Österreich. Als er von einer Kollegin gefragt wurde, ob er Menschen mit Beeinträchtigung das Schwimmen beibringen möchte, sagte er gleich zu. Jetzt sind die „Special Delphins“ quasi ein Familienbetrieb: Vom Enkel bis zur Schwiegermutter seines Sohnes sind viele aus dem Gokl-Clan mit dabei. Und dazu zahlreiche Ehrenamtliche, da jedes Kind und jeder Jugendliche der „Special Delphins“ eine eigene Betreuungsperson brauchen.
Sternzeichen: Fische
Ohnehin ist das Wasser Joe Gokls Element. Schließlich sei er im Sternzeichen der Fische geboren, sagt er und grinst. Seit einigen Jahren bestreitet er auch Wettkämpfe. „Ich will mich körperlich fit halten und wissen, auf welchem Level ich bin.“ Auf einem hohen, wie die Ergebnisse zeigen: Joe Gokl ist vierfacher Landesmeister, Staatsmeister über 50 Meter Rücken und ist mehrfach bei Europa- und Weltmeisterschaften angetreten – jeweils in seiner Altersklasse. „Das Kraulen mag ich am liebsten, Delfin eigentlich am wenigsten.“
Auch unter seinen „Special Delphins“ sind sehr gute Schwimmerinnen und Schwimmer, die bei den Trauner Stadtmeisterschaften starten. „Das ist natürlich ein Highlight für die Jugendlichen – sie sind begeistert mal drei, und das sieht man auch“, sagt Joe Gokl und erzählt noch eine Erfolgsgeschichte: Kathi, eine junge Frau mit Downsyndrom, ist eine der guten Schwimmerinnen und engagiert bei der Sache. Als sie bei den Stadtmeisterschaften die Bahn entlangkraulte und alle schrien „Kathi! Kathi! Kathi!“, hielt sie kurz an, winkte in die begeisterte Menge und beendete souverän ihren Wettkampf.
„Das war einfach königlich“, berichtet der Trainer mit stolzem Lächeln. Neben ihm grinst Kathi breit und macht die „Daumen hoch“-Geste.
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Kathi hat bereits an Wettbewerben teilgenommen. |
Immer mehr Oberwasser
Beim Schwimmkurs macht Kathi aber am liebsten den „Seestern“: Sie liegt auf dem Wasser und ruht sich aus. Andere spritzen wie wild herum, springen vom Beckenrand oder vom Sockel und schwimmen mit Hilfe ihrer Betreuungspersonen auf und ab. Joe Gokl ist immer mittendrin. Er hat offensichtlich Spaß, strahlt Ruhe und Vertrauen aus. „Die Kinder und Jugendlichen kommen oft von weit her, weil sie wissen, wie gut ihnen das tut“, sagt der „Special“-Schwimmtrainer. Und mit jedem Mal bekommen sie mehr Oberwasser. ♦
Die Reportage erschien erstmals in "Grüß Gott! – Magazin über Gott und die Welt", herausgegeben von der Katholischen Kirche in Oberösterreich, im Herbst 2021.