Der Griff nach den Sternen
Wenn abends die Sonne hinter dem Toten Gebirge untergeht und den Himmel über Vorderstoder in flammendes Rot verwandelt, dann sieht man Franz Gruber durch den Garten seines Hauses huschen. Dort richtet er akribisch seine Teleskope aus und hofft auf eine klare Nacht. Dem Himmel suchte er schon immer ein Stück näher zu kommen: Als Kind wollte Franz Gruber Pfarrer werden. Darum begann er nach der Matura ein Theologiestudium – und lernte dort seine spätere Frau kennen. Statt Pfarrer zu werden, schlug er eine akademische Laufbahn ein: Er wurde Universitätsprofessor an der Katholischen Privat-Universität Linz.
Abendrot. Wenn es dunkel wird und der Himmel klar ist, öffnet Franz Gruber das Dach seines Privatobservatoriums in Vorderstoder. © Robert Maybach
Die Astronomie ist seit Kindheitstagen die zweite große Leidenschaft von Franz Gruber. „Das mag wohl an dem prächtigen Sternenhimmel über meiner Heimatgemeinde Ungenach gelegen sein“, sagt der 61-Jährige heute.
Jahrelang musste er betteln, ehe ihm seine Eltern endlich ein billiges Fernrohr kauften. „Damals reifte in mir der Plan, einmal eine eigene Stern warte zu bauen.“ Viele Jahre vergingen, ehe Franz Gruber seinen Traum 2020 verwirklichte. „Ich brauchte einen energetischen Ausgleich zu meiner Arbeit an der Uni“, erklärt er.
Seitdem zieren zwei Sternwarten seinen Garten: Für sein Prunkstück, ein 17-Zoll-CDK-Spiegelteleskop mit 43 Zentimeter Durchmesser, hat er eigens ein Rolldach-Observatorium errichtet, dessen Dach man ausfahren kann. Ein zweites Teleskop, ein 11-Zoll-RASA-Fernrohr, befindet sich unter einer 3-Meter-Kuppel. Sein Garten auf 920 Meter Höhe, fernab von Lichtverschmutzung und hartnäckigem Bodennebel, erwies sich dabei als perfekter Ort für den Blick in den nächtlichen Sternenhimmel. „In den Himmel zu schauen, das macht uns Menschen doch erst aus“, sagt der Hobbyastronom begeistert.
Schicksal in den Sternen
Seit Beginn der menschlichen Kulturen beobachtet der Mensch Erscheinungen am Firmament und versucht, astronomische Phänomene zu deuten und zu begreifen:
Wie ist der Kosmos aufgebaut? Wie verhalten sich Himmel und Erde zueinander? Wie beeinflussen die Sterne das Leben auf der Erde? Dabei gab es schon immer eine starke Verbindung von Astronomie und Religion. Als Priesterastronomen bezeichnete man einst sternkundige Priester, die ihre astronomischen Kenntnisse für den Dienst in Tempeln und für religiöse Kulte ausübten.
Die Erforschung der Vorgänge am Himmel diente auch der Kalenderrechnung und der Vorhersage astronomischer Phänomene. Der legendäre Turm zu Babel, ein prachtvoller Stufenturm mit einer Grundfläche von 91 mal 91 Metern, war wahrscheinlich auch ein Observatorium. Die Babylonier entwickelten die bis heute verwendeten Tierkreiszeichen. In Süd- und Mittelamerika kannten die Maya-Priesterastronomen die Umlaufzeiten der Planeten und die Wiederkehr von Mond- und Sonnenfinsternissen.
Fantastische Fotos. Franz Grubers Aufnahmen aus dem Jahr 2020, etwa die Whirlpool-Galaxie (Mitte), der Eulennebel (oben) und der Komet „Neowise“ (links). © Robert Maybach
Gottes Schöpfung verstehen
Astronomische Forschung und Religion schlossen sich auch im Mittelalter und in der frühen Neuzeit nicht aus. Viele Theologen verstanden sich als Forscher, die angetrieben waren von dem Wunsch, Gottes Schöpfung zu verstehen. Papst Silvester II. lehrte um das Jahr 1000 noch selbst Astronomie. Besonders die Jesuiten forschten mit Erfolg in der Sternenkunde: Der Jesuitenpater Christoph Scheiner machte zu Beginn des 17. Jahrhunderts erste Langzeitbeobachtungen von Sonnenflecken und berechnete die Umdrehungszeit der Sonne und ihre Achsenneigung. Viele Mondkrater und Mondgebirge tragen die Namen von Jesuiten. Bis heute besitzt der Vatikan eines der ältesten Observatorien der Welt: Ab 1578 wurde der sogenannte „Turm der Winde“ auf dem Vatikanhügel hinter der Basilika Sankt Peter gebaut, den jesuitische Astronomen und Mathematiker für ihre Arbeiten an der gregorianischen Kalenderreform nutzten. 1927 postulierte der belgische Priester und Astrophysiker George Lemaître – noch vor Edwin Hubbles Entdeckungen –, dass sich die Galaxien von uns wegbewegen, sich das Universum also ausdehnt. Dies führte zur späteren Urknall-Theorie.
Eine Insel im Ozean
Zurück bei Universitätsprofessor Franz Gruber. Die Nacht hat mittlerweile ihren dunklen Mantel über Vorderstoder ausgebreitet und offenbart ein funkelndes Sternenzelt. Hunderte Langzeitaufnahmen macht Franz Gruber in Nächten wie dieser. Es sind Fotos von den fernen Wundern des Weltalls, etwa von unserer Nachbargalaxie, der 2,5 Millionen Lichtjahre entfernten Andromedagalaxie, die wir gerade noch mit bloßem Auge erkennen können; oder vom Adlernebel, einer riesigen Wasserstoffwolke mit einem Durchmesser von 20 Lichtjahren; und vom Eulennebel, dem Überrest einer Supernova.
Franz Gruber wuchs in Ungenach im Hausruckviertel auf.
Seit 2001 ist er Professor für Dogmatik und Ökumenische Theologie
an der Katholischen Privat-Universität Linz und war von 2014 bis
2020 deren Rektor. © Robert Maybach
Man lernt viel bei einem Besuch bei Professor Gruber: dass das Licht der Sonne acht Minuten benötigt, um die Erde zu erreichen, aber der nächste Stern schon vier Lichtjahre entfernt ist. Oder dass unser Sonnensystem das Zentrum der Milchstraße einmal in 250 Millionen Jahren umkreist, während unsere Erde mit einer Geschwindigkeit von 107.000 km/h um die Sonne rast. Und dass unsere Galaxie, die Milchstraße, nur eine unter mindestens einer Billion Galaxien ist und das beobachtbare Universum eine Ausdehnung von über 93 Milliarden Lichtjahren hat. Es ist diese gewaltige Größe, diese unvorstellbare Dimension, die Franz Gruber Demut lehrt. Und die für ihn gleichermaßen meditative Erfahrung und Psychohygiene bedeutet.
„Unsere kostbare Kugel namens Erde ist nur ein winziges Inselchen in einem riesigen Ozean“, sagt er. „So wichtig uns unsere Probleme auch manchmal erscheinen mögen: Ein Blick in den Himmel zeigt, dass es da draußen unvorstellbar viel mehr gibt als unsere kleine Lebenswelt.“
Weltbild im Wandel
Die jahrhundertelange friedliche Koexistenz von Wissenschaft und Kirche ging so lange gut, solange nicht das Weltbild der Kirche infrage gestellt wurde: Im Mittelpunkt des Universums befand sich unbeweglich die Erde, oben war der Himmel, unten die Hölle, und auf der Erde stand der Mensch als Herrscher über das gesamte Leben.
Es war der Astronom und Domherr in Frauenburg, Nikolaus Kopernikus, der an diesem geozentrischen Weltbild rüttelte. Er stellte die Sonne ins Zentrum, und die Planeten wandern um sie herum – das heliozentrische Weltbild. Im Jahr 1616 verbot die Kirche die kopernikanische Lehre. Auf der Grundlage des heliozentrischen Weltbildes entwickelte der italienische Philosoph und ehemalige Priester Giordano Bruno seine Theorie des unendlichen Weltalls, das unendlich viele Sonnen und unendlich viele Planeten enthalten solle. Giordano Bruno stritt auch die heilige Dreieinigkeit ab. Im Februar des Jahres 1600 wurde er als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Gut gerüstet. Im Jahr 2020 verwirklichte Franz Gruber einen
Kindheitstraum und errichtete seine eigene Sternwarte. © Robert Maybach
Galileo Galilei entging diesem Schicksal, musste aber 1632 seine Lehre widerrufen und wurde unter Hausarrest gestellt. Im Jahr 1609 hatte er die Planeten durch ein Fernrohr betrachtet – und seine Beobachtung bestätigte das kopernikanische Weltbild. Die Kirche verlangte von ihm, seine Annahmen nur als Hypothese und nicht als Wahrheit zu behaupten. Doch Galilei blieb dabei: Er stellte wissenschaftliche Erkenntnisse über biblische Aussagen und forderte die Kirche auf, die Heilige Schrift neu zu interpretieren.
Erst mehr als 350 Jahre später wurde der italienische Universalgelehrte rehabilitiert. „Die Kirche beschädigte mit der Verurteilung Galileis jedenfalls nachhaltig das Verhältnis von Wissenschaft und Religion“, befindet Theologe Franz Gruber. „Heute nähern sich Religion und Astro physik wieder an.“ So besitzt die Vatikanische Sternwarte in Arizona ihr eigenes Hightech-Teleskop. Zum Forschungsprogramm gehören die Kosmologie, was die Lehre vom Urknall als Ursprung des Universums einschließt, die Entstehung neuer Sterne und die Erforschung der Milchstraße. Die Ergebnisse werden regelmäßig in internationalen Zeitschriften veröffentlicht.
Die Atome, aus denen wir Menschen bestehen, sind einst in Sternen entstanden.
Wir sind alle Sternenstaub
Für Franz Gruber lassen sich Wissenschaft und Religion durchaus vereinbaren. Denn die Wissenschaft kann zwar vieles erklären, aber nicht den Sinn unserer Existenz ergründen. „Religion bedeutet, dem Menschen die Zusage zu geben: Du bist gewünscht. Ich glaube also nicht, dass das Weltall und seine Naturgesetze aus einem Zufall heraus entstanden sind. Dahinter steckt für mich eine schöpferische Kraft.“ Zum Abschied gibt er uns noch etwas zum Nachdenken mit auf den Heimweg: „Der Mensch ist Sternenstaub und zugleich Ebenbild Gottes.“ Denn die Atome, aus denen wir Menschen bestehen, sind einst in Sternen entstanden. Man könnte also sagen: Sie waren das Werkzeug, mit dem der Schöpfer unserer Welt sein Ebenbild durch die Evolution erschaffen ließ. ♦
Dieser Beitrag erschien im Magazin "Grüß Gott! – Das Magazin über Gott und die Welt" im Herbst 2021. Es wird von der Diözese Linz herausgegeben und erscheint zwei Mal im Jahr.