Wie kommt man in den Himmel?
Ich gehe einmal von mir aus: Ich weiß so ungefähr und recht abstrakt, dass ich jederzeit sterben könnte. Ich könnte auch gestorben werden. Neulich bin ich zum Beispiel in Chicago auf dem Zebrastreifen bei grüner Fußgängerampel fast von einem Auto niedergefahren worden. Die Dame hat mich nicht gesehen, weil sie telefoniert hat. Kleine Entschuldigung für die Autofahrerin: Ich bin auch leicht zu übersehen. Jedenfalls habe ich diesen Zwischenfall überlebt.
Neulich ist ein Mensch beim Selfie-Machen abgestürzt; kommt immer wieder vor. Heute habe ich aus der Ferne gesehen, wie der Briefträger beinahe von einem Hund angefallen wurde. Beide haben’s überlebt.
Worauf ich hinauswill: Ich weiß „irgendwie“, dass jeder Tag der letzte Tag meines Lebens sein könnte; und ich weiß auch „irgendwie“, dass ich einmal sterben werde. Am Anfang eines neuen Jahres haben wir einen leeren Kalender, und irgendwie wissen wir auch, dass irgendeiner der Tage, der 13. April oder der 5. November, dereinst unser Sterbetag sein wird. Irgendwie wissen wir das.
Clemens Sedmak, 49, Theologe und Philosoph, stammt aus Bad Ischl und ist Professor für Sozialethik an der University of Notre Dame in Indiana, USA. © Connor Bran
Nächstes Jahr werde ich, wenn es so weit kommt, fünfzig. Das ist in vielen Regionen dieser Erde schon ganz ordentlich alt. Oft ist die Lebenserwartung nicht einmal fünfzig. Jedenfalls Grund zur Dankbarkeit.
Nun ist die Sache mit Tod und Sterben deswegen etwas ganz Besonderes, weil es sein könnte, dass das Ende nicht das Ende ist. Es könnte eine Tür sein, wo eine Mauer zu sein scheint. Es könnte ja sein, dass es ein Leben nach dem Tod gibt, dass es weitergeht, dass wir irgendwo „ankommen“.
Ich bekenne mich dazu, dass ich das glaube. „Irgendwie“, um ehrlich zu sein, weil es meine Vorstellung übersteigt. Irgendwie glaube ich, dass es weitergeht. Und das Schöne ist: Es könnte wahr sein.
Es könnte auch nicht wahr sein, Beweise haben wir nicht, weder in der einen noch in der anderen Richtung. Das ist das weniger Schöne an der Geschichte. Wenn es aber so ist, dass es sein könnte, dass es ein Leben nach dem Tod (ich sag einmal: einen Himmel) gibt, dann ist das doch eine ziemlich wichtige Frage.
Vieles ist im Nebel
Sie können natürlich sagen, dass Sie das für Mumpitz halten, und das ist Ihr gutes Recht. Wirklich. Ich sage auch nicht altklug, dass Sie das schon herausfinden werden, nachdem Sie einmal gestorben sind.
Da gibt es unzählige Nahtoderfahrungen, die davon erzählen, wie es 'dereinst' sein wird.
Aber ich glaube, wir können uns einigen, dass unser Sterben und unser Tod eingehüllt sind in eine Wolke des Nichtwissens. Da gibt es unzählige Nahtoderfahrungen, die davon erzählen, wie es „dereinst“ sein wird. Wir wissen es aber trotzdem nicht. Da gibt es eigenartige Träume; mir ist neulich mein Vater, der vor zehn Jahren verstorben ist, in einem Traum begegnet. Aber das muss gar nichts heißen. Da gibt es Vorahnungen, die Menschen haben – der damalige UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld ist 1961 unerwartet bei einem Flugzeugabsturz in der Nähe des heutigen Sambia ums Leben gekommen; er hatte seine Wohnung in New York so hinterlassen, als hätte er gewusst oder geahnt, dass er nicht mehr zurückkehren würde. Aber auch das ist kein Beweis. Da ist sehr viel im Nebel. Aber dieser Nebel nährt auch Hoffnung.
"Dieser Nebel nährt auch Hoffnung." © Pixabay/StockSnap
Jeden Tag eine Übung
Vor ein paar Jahren habe ich mit einem ungemein sympathischen Journalisten (der liest das sicher nicht, deswegen kann ich ehrlich sein) ein kleines Buch geschrieben: „Wie man (vielleicht) in den Himmel kommt“. Die Idee war die: Ich lade Christian (so hieß er damals und heißt er immer noch) dazu ein, Übungen zu machen, die sich in der religiösen Tradition bewährt haben, um innerlich zu wachsen und Gott näherzukommen. Jeden Tag eine Übung. Und das die ganze Fastenzeit hindurch.
Übungen wie: einen Psalm aus der Bibel auswendig lernen; einen Tag fasten; einen Tag schweigen; einen Brief an jemanden schreiben, bei dem man sich entschuldigen sollte, und um Verzeihung bitten; für einen guten Zweck spenden – und zwar so, dass es ein bisschen wehtut; einen schwerkranken Menschen besuchen; ein Gedicht schreiben; den eigenen Schreibtisch aufräumen (denn äußeres Aufräumen ist auch inneres Saubermachen); mit einer beeindruckenden Glaubenspersönlichkeit sprechen (ich hab ihm meine gute Freundin Claudia vorgeschlagen, Mutter von sieben Kindern, Bio-bäuerin, schupft eine Pfarre und einen Ehemann).
Wenn das Innere geordnet ist, fügt sich das Äußere.
Christian hat diese Übungen sehr ernsthaft gemacht, auch wenn er sich ziemlich beschwert hat. Diese Übungen waren kein Jux, sondern ganz ernst gemeint; sie haben sich, wie gesagt, in der langen Tradition bewährt. Viele Menschen sind auf der Suche nach Gott durch solche Übungen weitergekommen. Und ich glaube das wirklich: Wir können innere Veränderung auch durch äußeres Tun anstoßen.
Und umgekehrt: Wenn wir mit unserem Leben hadern, können wir an unseren Einstellungen arbeiten. Ein kluger Jesuit hat einmal zu mir gesagt: „Wenn das Innere geordnet ist, fügt sich das Äußere.“
Fragen über Fragen
Das ist ein schöner Satz. Ich schreibe ihn noch einmal hin: „Wenn das Innere geordnet ist, fügt sich das Äußere.“ Der englische Dichter William Blake hat einmal von einem Giftbaum geschrieben, der in der Seele eines Menschen steht, der nicht verzeihen kann und verbittert ist. Und dieser Giftbaum verseucht die ganze Seele, das ganze Leben. Deswegen ist Vergeben so wichtig für die innere Ordnung und Freiheit.
Also: Wenn das Innere geordnet ist, fügt sich das Äußere. An diesem Satz halte ich mich manchmal fest – und diese Idee war auch tragend für manche der Übungen, die ich meinem Journalistenfreund, der sich auf die Suche nach Gott machen wollte, aufgegeben habe.
Wie ist denn der Himmel? – Unvorstellbar schön.
Im Gegenzug zu den Übungen, die ich Christian vorgeschlagen habe, hat er mir Fragen gestellt – Fragen zu Glaube und Kirche. Er hat mich zum Beispiel gefragt, wie denn der Himmel so wäre (Antwort: unvorstellbar schön), er hat mich gefragt, warum Frauen in der katholischen Kirche nicht Priesterinnen sein dürfen (ich gab eine lange Antwort, die ich selbst nicht ganz verstanden habe); er hat mich gefragt, warum Kinder manchmal schwer krank sind (meine ehrliche Antwort: Ich weiß es nicht).
Manche dieser Fragen waren Fragen zur Kirche, andere waren Fragen zur Bibel (warum ist im Alten Testament von einem eifersüchtigen Gott die Rede?), wieder andere Fragen waren Fragen zu Gott oder zum Leben nach dem Tod.
Wir haben einen schönen Rhythmus gehabt: Ich habe Christian in der Früh die Übung für den Tag geschickt, er hat mir abends von seiner Erfahrung mit der Übung berichtet und mir eine Frage gestellt, die ich dann am nächsten Tag in der Früh beantwortet habe.
Wir sind alle unterwegs
Ganz ehrlich: Ich habe in dieser Zeit wahrscheinlich mehr gelernt als Christian. Das Nachdenken über „die gute Übung“ und Christians kluge Fragen haben mich auf der Suche nach Gott (immer eine Suche!) sicher ernsthafter gemacht.
© pixabay.com/jplenio
Die Erfahrung, dass wir alle „unterwegs“ sind, ist eine schöne Erfahrung. Wir sind alle unterwegs. Die Journalisten und die Philosophen, die Österreicherinnen und die Amerikanerinnen. Unterwegs sein heißt: (noch) nicht angekommen sein.
Niemand braucht also so zu tun, als wäre er oder sie schon angekommen. Wir sind alle noch auf der Suche und auf dem Weg.
Wenn Sie eine Übung für mich haben, die mich auf der Suche weiterbringt, würde mich das freuen. Und ich glaube auch, dass es Ihnen guttut, über eine solche Übung nachzudenken. Was würden Sie mir auftragen?
Ich bin wahrscheinlich noch am Leben, wenn Sie mir schreiben. Und Sie vermutlich auch.
Es ist schön, am Leben zu sein. Und es könnte sogar noch weitergehen.
Einmal Himmel zum Mitnehmen, bitte
Bewährte Übungen für inneres Wachstum:
- einen Tag lang fasten
- einen Tag lang schweigen
- einen Brief an jemanden schreiben, bei dem man sich entschuldigen sollte, und um Verzeihung bitten
- für einen guten Zweck spenden, und zwar so, dass es ein bisschen wehtut
- einen schwerkranken Menschen besuchen
- ein Gedicht schreiben
- den eigenen Schreibtisch aufräumen
- mit einer beeindruckenden Glaubenspersönlichkeit sprechen
Dieser Beitrag erschien im Magazin "Grüß Gott! - Das Magazin über Gott und die Welt" in der Ausgabe 2 / Frühling 2020. Es wird von der Diözese Linz herausgegeben und erscheint zwei Mal im Jahr.